Die HRV-Kurzzeitmessung liefert innerhalb kurzer Zeit eine Einschätzung, wie es um es um die Leistungsfähigkeit des vegetativen Nervensystems steht. Deshalb ist sie bei Therapeuten sehr beliebt. Dieser klinisch erprobte Test hat sich neben der RSA-Messung zur Beurteilung der Herzratenvariabilität bewährt.
Die Kurzzeitmessung sollte bei der Gesundheitsvorsorge und Behandlung von Krankheiten ein Standard werden. Der Aufwand ist überschaubar, der Erkenntnisgewinn hingegen ist enorm. Aus dem Messergebnissen lässt sich bereits so viel herauslesen, dass viele Therapeuten teilweise nur mit der Kurzzeitmessung arbeiten. Mit ihr lässt sich die Herzratenvariabilität (HRV) als Frühwarnsignal nutzen.
Gar nichts tun, einfach nur entspannen, das ist der wesentliche Bestandteil der Messung. Ohne Angaben und Vorgaben soll geschaut werden, wie das vegetative Nervensystem (VNS) auf die selbst herbeigeführte Entspannung reagiert. Im Prinzip geht es bei der Messung darum, wie es um die eigene Erholungsfähigkeit bestellt ist. Kann der Parasympathikus ohne Hilfe von außen aus eigener Kraft aktiviert werden?
Die eigene Entspannungsfähigkeit im Test
Auch wenn die Kurzzeitmessung für alle Beteiligten einfach und leicht durchführbar ist, bedarf sie einer sorgfältigen Vorbereitung. Alles, was das Messergebnis beeinflussen könnte, sollte vorher abgeklärt werden. Medikamente und aktuelle Krankheiten sind Einflussfaktoren, aber auch starke körperliche Anstrengungen Tage zuvor. Alkohol, Kaffee und Nikotin kurz vor der Messung wirken sich ebenfalls auf die HRV-Werte aus. Während der Messung sind jegliche Art von Bewegung, auch sprechen, räuspern oder schniefen, Störfaktoren, die nach Möglichkeit vermieden werden sollten.
Für eine möglichst realistische Einschätzung der Werte sollte mit der Messung erst begonnen werden, wenn sich der Ruhepuls langsam eingependelt hat. Meist braucht es ein paar Minuten, um die nötige Ruhe zu finden. Eine Zeit, die sich jeder nehmen sollte.
Körperhaltung als Einflussgröße
Die Kurzzeitmessung kann im Liegen oder Sitzen vorgenommen werden. Die Empfehlung, sie im Liegen durchzuführen, verfolgt den Vorteil, dass die orthostatische Belastung wegfällt. Das Herz wird entlastet und kann noch freier regulieren. Ein anderer Grund sind die hinterlegten Referenzdaten für die Berechnung der Parameter. Wurden sie in einer liegenden Körperhaltung erhoben, was bei den meisten Studien der Fall ist, dann fallen die Ergebnisse bei einer Messung im Sitzen etwas schlechter aus.
Auch wenn das Herz das Blut zumindest teilweise von unten nach oben pumpen muss, ist es kein großer Fehler im Sitzen zu messen. In den Leitlinien zur Nutzung der HRV in der Arbeitsmedizin und Arbeitswissenschaft wird der sitzenden Haltung sogar der Vorzug gegeben. Hintergrund ist hier vermutlich der praktische Aspekt bei der Durchführung und die Vergleichbarkeit zur Körperhaltung bei der Arbeit.
Schon die Messsysteme machen einen Unterschied aus
Von den einzelnen Messsystemen ist abhängig, wie die Messung vorgenommen wird, also welches “Werkzeug” und welcher Sensor für die Puls-Erfassung zum Einsatz kommen. Die System-Palette fängt bei verschiedenen EKG-Ausführungen an, geht über unterschiedliche Brustgurt-Modelle und endet bei Ohr-Clips oder auch Smartphone-Kameras.
Um zu verstehen, was den Unterschied ausmacht, muss man sich mit der Erfassung des auszuwertenden Signals vertraut machen. Grob betrachtet geht es darum, die Abstände zwischen den einzelnen Herzschlägen zu messen. Der feine Unterschied ist, wie das geschieht. EKG-Geräte erfassen sekundenweise sehr viele Messwerte. Brustgurte hingegen stellen in der Regel nur die einzelnen Werte der Herzfrequenz bereit. Den Unterschied macht die sogenannte Abtastrate aus. Je höher sie ist, umso genauer fällt das Ergebnis aus. Wird alle ein bis zwei Millisekunden gemessen, kann sozusagen nichts verloren gehen oder übersehen werden. Die R-Zacken werden punktgenau erfasst. Aber auch “Ausreißer” fließen in die Aufzeichnung mit ein.
EKG-Geräte und einige wenige Brustgurte bieten eine hohe Abtastrate. Der Verlauf des Herzschlags kann völlig transparent aufgezeichnet werden. Die meisten Brustgurte messen die Herzrate jedoch in größeren Abständen, was Ungenauigkeiten mit sich bringt. Es ist meist nicht durchschaubar, wie die gemessenen Werte zustande kommen. Falsche Werte aufgrund von Störungen können nicht unterschiedenen werden. Messungen mit Ohrclip oder Smartphone-Kamera nutzen die Lichtdurchlässigkeit der Haut und erfassen die Schwankungen des durchfließenden Blutes, die sogenannte Pulswelle. Die Regulation der Gefäßstrecke mischt sich also hier in die Ergebnisse ein.
Die Qualität hängt vom Umgang mit den Störfaktoren ab
Eine hohe Abtastrate ermöglicht, dass “falsche” Schläge, sogenannte Artefakte erkannt werden. Sie beeinflussen vor allem die Werte im Frequenzbereich wie z. B. Low Frequency (LF) und High Frequency (HF). Was bei Langzeitmessungen nicht von allzu großer Bedeutung ist, weil nur kurze Abschnitte betroffen sind, kann bei Kurzzeitmessungen zu verfälschten Ergebnissen führen. Eine Extrasystole beispielsweise hat nichts mit der HRV zu tun, beeinflusst aber die Messergebnisse. Ähnlich zu werten sind Artefakte, die beispielsweise durch Bewegungen bei der Messung ausgelöst wurden.
Ein Aspekt, der auch bei den verschiedenen Messsystemen den Unterschied macht, ist der Umgang mit den Störfaktoren. Neben der Erfassung und Erkennung ist auch deren Ausschluss von Bedeutung. Dr. med. Doris Eller-Brendl schreibt in ihrem Buch Herzratenvariabilität: “Als Grundregel gilt: Je kürzer der beobachtete Zeitraum ist, desto wichtiger ist die Artefaktfreiheit dieses Zeitraums, um reale Ergebnisse zu erhalten.”
Systeme mit einer automatischen Bereinigung beseitigen mit einem Tastenklick kurz mal alle Auffälligkeiten. Das kann im Praxisalltag eine große Hilfe sein, es kann einen aber auch um wertvolle Erkenntnisse bringen. Eine manuelle Bearbeitung kostet zwar etwas mehr Zeit, schützt aber vor Fehlinterpretationen. Zudem haben Fehler, die von den Autokorrekturen eingebracht werden, keine Chance.
Die Auswertung der Werte kann sich von System zu System unterscheiden. Je nachdem welche Normwerte und Personenangaben in die Berechnung einfließen, kann es zu Abweichungen kommen. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Bewertung der “gemischten” Werte interessant. Also jener Parameter, die von Sympathikus und Parasympathikus gleichermaßen beeinflusst werden können, wie z. B. LF oder SD2.
Mehr Erkenntnisse durch die Einbeziehung der Atmung
Welcher Anteil des VNS hauptsächlich Einfluss nimmt, lässt sich nur unter Einbeziehung der Atmung genau klären. Kommt es während der Ruhemessung zu einer respiratorischen Sinusarrhythmie (siehe Beitrag Atmung bewegt Herzschlag), ist dies ein Zeichen für den Einfluss des Parasympathikus
Die Einbeziehung der Atmung in die Kurzzeitmessung kann Missverständnissen vorbeugen. Schlechte Werte müssen nicht zwangsläufig eine parasympathische Regulationsstörungen sein. Bei abweichenden Ergebnissen der Kurzzeitmessung zur RSA-Messung kann der Einfluss der Atmung die Erklärung sein. Anhand der R-Zackenhöhe lässt sich die Herzfrequenz mit der Atmung ins Verhältnis setzen, eine andere Möglichkeit sind Brustgurte mit Dehnungsstreifen.
Üblicherweise wird die Kurzzeitmessung nach genau fünf Minuten abgeschlossen und bereits wenige Minuten später liegen die Ergebnisse vor. Neben der zeitlich reglementierten Erfassung gibt es auch den Ansatz, die Messung von der Anzahl der Herzschläge abhängig zu machen. Beispielsweise werden exakt 520 Herzschläge erfasst und im Anschluss ausgewertet. Je nach Herzschlag dauert diese Art der Messung zwischen fünf bis zehn Minuten.
Im Vergleich zur RSA-Messung, die eher die verfügbaren VNS-Ressourcen aufzeigt, spiegelt die Kurzzeitmessung den momentanen Zustand wider. Sie vermittelt eine Einschätzung über die gesundheitliche Situation.